Freitag, 16. Oktober 2009

Maedchen, steh auf!

So lautet die deutsche Uebersetzung von Talita Kumi, einer Einrichtung fuer Maedchen und junge Muetter in Quito, die von den Strasse Ecuadors oder aus anderen Risikosituationen kommen.
Fuer diese Zielgruppe gibt es auch heute noch kaum Hilfsangebote oder Anlaufstellen und so haben besonders Maedchen in den laendlichen Provinzen Ecuadors meist keine Chance aus der Spirale von Gewalt, Missbrauch und Armut auszubrechen.

Seit 1987 existiert in Quito deshalb die Einrichtung Caminos de Esperanza Talita Kumi, in der Maedchen und junge Muetter im Alter zwischen 12 bis ca. 19 Jahren Schutz, Beratung und persoenliche Annahme finden. Sie koennen dort Unterkunft, Verpflegung sowie medizinische, juristische und psychologische Hilfen und spaeter auch eine berufliche Qualifizierung erhalten.

Ehrlich: Ich wusste nicht so recht was mich erwartet, als ich am 30. September in Quito gelandet bin, um die Einrichtung fuer sechs Wochen bei der Presse- und Oeffentlichkeitsarbeit zu unterstuetzen.

Doch sofort haben mich die beiden Heimleiter Diego und Alexandra sehr herzlich aufgenommen und mittlerweile fuehle ich mich fast schon wie in einer grossen Familie :) Obwohl es oft nicht leicht ist 17 halbwuechsigen “Schwestern” und sechs Kleinkindern gerecht zu werden mit denen man fast 24 Stunden am Tag zusammenlebt…

Neben meiner eigentlichen Pressearbeit (die in Ecuador sehr langsam vorangeht, was mich jedes Mal fast wahnsinnig macht :)) helfe ich den Maedels bei ihren Hausaufgaben, beschaeftige ihre Kinder (mein persoenliches AHA-Erlebnis: Kleine Kinder fangen nicht zwangslaeufig an zu heulen, wenn sie mich sehen! :)), nehme an den Kursen teil (wenn ihr in der Adventszeit zufaellig Weihnachtskarten von Talita Kumi seht… die koennten von mir sein :)), unterstuetze die Psychologin bei der Einzel- und Gruppentherapie (ich hab ja irgendwann auch mal Psychologie studiert, lang lang ists her…) und versuche mit den Maedels so normal wie moeglich umzugehen, was angesichts ihrer Vorgeschichten oft richtig schwer ist…

Die meisten von ihnen kommen aus zerruetteten Familien und haben oft fast 10 Halb- und Stiefgeschwister. Ein normales Familien- und Alltagsleben haben sie nie kennengelernt und Dinge, die fuer uns selbstverstaendlich sind (wie z.B. dass man seine Sachen in Ordnung haelt usw.) muss man ihnen immer und immer wieder sagen. Die jungen Muetter (die meisten haben ihre Kinder mit ca. 14 bekommen und was wirklich krass ist: oft vom Vater/Bruder/Onkel…) wissen kaum wie sie mit ihren Kindern umgehen sollen, weil sie im Umgang mit ihren Muettern so etwas selbst nie erfahren haben.

Doch trotz allem haben sie das Lachen nicht verlernt und dafuer bewundere ich sie wirklich. Egal, welche Probleme die Maedels auch mit sich rumschleppen – sie sind immer freundlich, hilfsbereit und fuer jeden Spass zu haben (und haben vor allem extrem Geduld mit meinem Spanisch :)).

Fuer mich ist die Zeit in Quito eine Erfahrung, die ich nicht vergessen werde. Und ich hoffe, dass ich durch meine Arbeit hier ein bisschen dazu beitragen kann, dass die Einrichtung in Ecuador und Deutschland langfristig bekannter wird, denn der Bedarf ist da!

Hasta pronto de lindo Ecuador!

Und hier noch ein Text, den ich im November 2009, kurz vor meiner Abreise, für die Internetseite der Talita Kumi (www.talitakumiev.de) geschrieben habe:

Die Tage in der Talita Kumi II in Tumbaco, Ecuador, beginnen früh. Die kleine Michaela hat Hunger. Man hört das Trippeln vieler Füße auf den Licht durchfluteten Fluren des Hauses. Das Lachen der Mädchen und die Stimmen der Heimeltern Diego und Alexandra vermischen sich zu einer fröhlichen spanischen Melodie und die aufgeweckte Leisi Fernanda (3) begleitet ihre Mutter Liced (18) in die Gemeinschaftsküche des Hauses, wo diese gemeinsam mit zwei weiteren Mädchen das Frühstück für die gesamte Gruppe vorbereitet.

Als ich im September 2009 zum ersten Mal die große Talita-Familie kennengelernt habe, wurde ich sofort herzlich und mit offenen Armen empfangen. Obwohl die meisten Mädchen in ihrem Leben bereits Schreckliches erlebt haben, gehen sie gleich freundlich und unbefangen auf mich zu und akzeptieren mich als eine Art „große Schwester“, was mich wirklich tief beeindruckt hat.

Bis Ende November 2009 habe ich mich dann in erster Linie um die Öffentlichkeitsarbeit der Talita in Ecuador gekümmert und dabei auch die Produktion eines Films unterstützt, der auf spanisch und deutsch über die Arbeit der Talita informiert. Noch in diesem Jahr soll es auch eine spanischsprachige Webseite geben. Die Vorbereitung von Interviews und Artikeln für die lokalen Medien sowie der Kontakt zu einheimischen Journalisten standen dabei ebenso auf der Tagesordnung wie die Suche nach geeigneten Sponsoren vor Ort.

Diese Aufgaben waren eine große Herausforderung für mich, da sich die Arbeitsweise in Ecuador doch sehr von der in Deutschland unterscheidet und man Dinge grundsätzlich auf mañana (morgen) verschiebt. Zusätzlich wurde unsere Arbeit in dieser Zeit noch durch anhaltende Stromausfälle erschwert, die oft alle Pläne über den Haufen geworfen haben.

Am meisten konnte ich jedoch von den Mädchen lernen. Wie sie aufblühen können, wenn man sie lässt und welche Fähigkeiten sie entwickeln können, wenn sie entsprechend gefördert werden.

Die 16-jährige Deirica Sujeidy bringt es auf einen Punkt: „Ohne die Talita hätte ich keine Chance gehabt. Hier habe ich Freunde gefunden und Menschen, die mich unterstützen und an mich glauben.“ Die Mädchen können zur Schule gehen, haben ein sicheres Zuhause und eine neue Perspektive. Es ist einfach schön, sie lachen zu sehen oder an ihren Wünschen und Träumen teilhaben zu können. Diese Erfahrung hat mir gezeigt, dass die Talita in Ecuador wirklich gebraucht wird.

Weil ich nach meiner Zeit in der Talita nun auch – wie wahrscheinlich viele andere – mit dem „Talita-Virus“ infiziert bin, wird das bestimmt nicht mein letzter Besuch in Tumbaco gewesen sein. Ich hoffe sehr, dass das Projekt auch in Zukunft noch vielen Mädchen einen neuen Lebensweg ermöglicht und dass das unbeschwerte Lachen in der Talita noch lange zu hören ist!

Du willst nach Kolumbien…?!?

Das musste ich mir im Vorfeld einige Male anhoeren. Klar, das Land hat nicht das beste Image und bestimmt auch so seine kleineren und groesseren Probleme, aber trotzdem ist es auf jeden Fall mindestens eine Reise wert!

Nachdem wir Mitte September am noerdlichsten Grenzuebergang zwischen Venezuela und Kolumbien (von der suedlichen Grenze wird aus Sicherheitsgruenden oft abgeraten) das teilweise ausgestorbene Niemandsland passiert hatten, war unser erstes kolumbianisches Ziel das Kuestenstaedtchen Santa Marta, das gleichzeitig als Ausgangspunkt fuer die Tour zur „verlorenen Stadt“ der Tayrona-Indianer, der Ciudad Perdida, dient.

In sechs Tagen durchquert man dabei 18mal mehr oder weniger reissende Fluesse (mit seinem gesamten Gepaeck), kaempft mit den blutruenstigsten Insekten (immun gegen jedes bekannte Abwehrspray), erklimmt (oh welch schoenes Wort! :)) 1.000 Stufen, trotzt Wind und sintflutartigem Regen und steht schliesslich mitten im spirituellen Zentrum der Tayrona-Indianer, das heute von extrem gelangweilten Staatstruppen gegen etwaige Uebergriffe von Seiten der Guerillas oder Paramilitaers gesichert wird. Trotzdem kommt so ein bisschen Indiana-Jones-Feeling auf (wenn man die mit ihren Waffen protzenden Juenglinge in ihren Uniformen ausblendet :)).

Uebrigens: Als ich erfahren habe, dass die FARC normalerweise bei Ueberfaellen nur kraeftige, gesunde und spanischsprachige Geiseln auswaehlt war ich vollstaendig beruhigt, da ich zwei Kriterien definitiv ausschliessen konnte :)

Nach der Ciudad Perdida ist man (oder besser: ich) total am Ende und wuenscht sich nur ein bisschen Sonne, um nach sechs Tagen endlich die nassen Sachen trocknen zu koennen. Deshalb: Auf ans Meer! Im Tayrona-Nationalpark findet man alles, was man so braucht… Sonne, weisser Strand, tuerkises Meer, Abgeschiedenheit und … Vogelspinnen :) Eine davon hatte ich nach einer Nacht in der Haengematte in den Haaren (leichte Gleichgewichtsprobleme haben das arme Tier wohl nicht unter dem Palmendach gelassen, wo es eigentlich hingehoert!).

Von dort aus ging es fuer uns dann weiter nach Cartagena, eine der bisher schoensten Staedte auf unserer Reise. Dort findet man noch richtig charmante kleine Gaesschen mit alten Kolonialhaeusern und es ist so heiss, dass man sich praktisch 24 Stunden am Tag an den Nordpol wuenscht… :) Also im positiven Sinn…

Ganz in der Naehe kann man am Playa Blanca ein bisschen die Seele baumeln lassen und sich wie Robinson Crusoe fuehlen. Wir hatten den gesamten Strand quasi fuer uns allein und man fragt sich die ganze Zeit warum man eigentlich noch zurueckfahren sollte :)

Unsere naechste Station Medellín im Zentrum Kolumbiens war lange als eine der gefaehrlichsten Staedte der Welt verschrien in der Drogengangs um den beruehmten Baron Pablo Escobar ihr Unwesen trieben. Heute kann man sich dort genauso sicher oder unsicher bewegen wie in jeder anderen beliebigen Grossstadt. Obwohl die Stadt Boteros (bekannt fuer seine wohlproportionierten Kunstwerke) inzwischen eine quirlige und frische Metropole ist, konnte es das schlechte Image noch nicht ganz loswerden. Das muss ich an dieser Stelle zur Verteidigung Medellíns mal vorbringen :)

Fuer mich ging es nach einigen Tagen dann auch schon weiter nach Quito, wo ich zur Zeit in einem Hilfsprojekt fuer Maedchen und junge Muetter mitarbeite: Als Mamita, grosse Schwester und manchmal auch PR-Fachfrau :)

La próxima vez: Bienvenidos a Ecuador!

Mittwoch, 7. Oktober 2009

Outdoorparadies Venezuela

Bis vor kurzem konnte ich mir unter Venezuela noch recht wenig vorstellen. Man erfaehrt zwar ab und zu etwas ueber die bolivarischen Grossplaene und Provokationsversuche des Staatspraesidenten Hugo Chávez, bekommt vielleicht noch ein paar Informationen zur Erdoelfoerderung und hoert von den problematischen Beziehungen zum Nachbarland Kolumbien. Das war es dann meist aber auch schon.

Wir sind (Moment, ich muss kurz in meinem Reisepass blaettern) am 20. August von Brasilien aus nach Venezuela eingereist (Ja, ich weiss… das ist schon ein bisschen her… mea culpa :)). Das erste, was man im Land selbst kennenlernt ist der florierende Schwarzmarkt, der einen fast dreimal hoeheren Wechselkurs bietet als der gewoehnliche Geldautomat.

Deshalb sind wir ganz abenteuerlich mit brasilianischen Reals bepackt (ich hatte das Geld ueberall versteckt… es sind vermutlich immer noch gewisse Geldscheine mit Schweissflecken im Umlauf :)) in das kleine Staedtchen Santa Elena gekommen, wo uns sofort an jeder Strassenecke mehr oder weniger zwielichtige Geldwechselgestalten angesprochen haben.

Nach dem Motto „wenn schon illegal, dann auch richtig“ haben wir uns mit drei rauchenden grimmigen Maennern in ein Hinterstuebchen begeben und dann unter strengen Augen unser Geld auf den Tisch gezaehlt… Bloederweise haben wir uns dabei beide verrechnet und den guten Maennern zuviel gegeben, worauf sie uns aber gleich auf den Fehler aufmerksam gemacht haben. Wie schoen, dass es auch in diesem Metier ehrliche Menschen gibt! :)

Nach der Wechselaktion hatten wir noch mehr Geld bei uns (dort wird ja gleich immer mit Tausendern bezahlt) und ich konnte zum ersten Mal in meinem Leben ein kleines Geldbad nehmen :)

Von Santa Elena aus haben wir dann auch gleich unsere erste sechstaegige Tour mit dem Ziel Mount Roraima gestartet. Dieser Berg gehoert zu einer Kette von Tafelbergen, auf denen sich endemische Arten erhalten und entwickelt haben, da die Natur von aeusseren Einfluessen relativ unberuehrt ist. So findet man dort zum Beispiel schwarze Froesche, die laufen statt zu huepfen oder jede Menge einmaliger Pflanzen und Voegel.

Nachdem man sich zwei Tage durch sintflutartige Regenfaelle (meine Schuhe mueffeln immer noch), trockene Savanne und Insektenschwaerme (die sogenannten Puripuris sehen aus wie kleine schwarze Fliegen und stechen immer, ueberall und ueberallhin; ausserdem sind sie immun gegen jedes Insektenspray) geschleppt hat, erwartet einen ein steiler Aufstieg durch einen kleinen Regenwald, ueber eine Geroellhalde und unter Wasserfaellen hindurch.

Danach – voilá – der Berg! Eine schwarze Mondlandschaft in der das Wetter sich jeden Augenblick aendern kann und man nachts vor lauter Kaelte schon mal saemtliche mitgebrachte Klamotten anziehen muss. Aber trotzdem entschaedigt einen dieser Anblick fuer alle Strapazen unterwegs und wenn man nach sechs Tagen schliesslich wieder im Jeep sitzt, dann kann man eigentlich nur stolz auf sich sein und traut sich sogar fast den Ironman zu :)

Unsere zweite Tour ging im Anschluss daran zu den beruehmten Angel Falls, den hoechsten Wasserfaellen der Welt. Schon die Anfahrt bzw. der Anflug sind abenteuerlich: Man fliegt von Ciudad Bolívar aus (uebrigens eines der sympathischsten Staedtchen bisher) mit einer kleinen fuenfsitzigen Maschine ueber absolut beeindruckenden Regenwald in das Naturschutzgebiet Canaima, wo einen neben den eben erwaehnten Wasserfaellen auch weitere Tafelberge und unberuehrte Natur erwarten.

Dort durften wir auch filmreif hinter/unter tosenden Wasserfaellen vorbeilaufen, was aber wegen der Kaelte und dem das-Wasser-erschlaegt-mich-Gefuehl nur halb so romantisch war wie gedacht :) Und auch die Haengemattenuebernachtung vor den Angel Falls wurde durch graessliche sodbrennenbedingte naechtliche Wuergelaute meines Haengemattennachbarn etwas beeintraechtigt, aber dafuer war der darauf folgende Sonnenaufgang einfach einmalig!

Tour Nummer drei (ihr seht, es gibt viel zu erleben :)) ging danach in die Sumpfgebiete Venezuelas, los Llanos. Man fuehlt sich dort sofort wie im frueheren Wilden Westen (bis auf die Schiessereisachen und so :)) und so habe ich einen Basiskurs im Kuehemelken absolviert und bin virtuos auf meinem immer folgsamen Ross durch die Landschaft galoppiert, will heissen der Gaul hat sich beim Schritttempo einfach immer dem Vorderpferd angepasst und meine Schreie und verzweifelten Stoppversuche ignoriert.

Auf unseren Ausfluegen mit dem Kanu/Pferd/Jeep haben wir dank unseres Naturburschenguides Tony neben Anakondas und Boas auch Delfine, Urzeitschildkroeten und Ameisenbaeren zu Gesicht bekommen und eigenhaendig Piranhas gefangen (hoert sich in dem Zusammenhang etwas komisch an :)). Leider hatten wir am Schluss noch eine kleine Auseinandersetzung, da er sich jeden Abend auf unsere Kosten gut einen hinter die Binde gekippt hat - vielleicht wollte er sich einfach nur Mut fuer den naechsten Tag antrinken :)

Wenn man nach all den Strapazen ein wenig entspannen moechte, dann ist die venezolanische Karibikkueste der sogenannte „place to be“. Weisse Traumstraende, Palmen, tuerkises Meer, Hunderte von Delfinen, Schnorchelparadies…

… wenn nur nicht die venezolanischen Touristen waeren (Auslaender trifft man dort eher selten), die am Wochenende wie Heuschrecken ueber die Straende herfallen und immer drei wichtige Kriterien erfuellen: Sie kommen im Familienverbund, sie konsumieren moeglichst frueh moeglichst viel Bier (am besten im Wasser stehend) und sie lieben es wie Sardinen nebeneinander zu liegen. Dort entwickelt man als europaeischer Tourist schnell den beruehmten Scheuklappenblick, der alle oeligen und bierbaeuchigen Subjekte einfach ausblendet :)

Das unbekannte Venezuela hat mich auf jeden Fall sofort begeistert. Wenn man das Naturabenteuer sucht und nicht das Gefuehl haben will, dass halb Europa auch schon da ist oder war, dann sollte man sich schnellstens in ein Flugzeug nach Caracas setzen (die Stadt ist uebrigens besser als ihr Ruf!) und eine Tasche voll Euros fuer die netten Schwarzmarkthaendler bereithalten.

Dranbleiben lohnt sich (das Fernsehen hat mich offensichtlich nachhaltig gepraegt! :)), denn das naechste Mal geht’s ab ins wilde Kolumbien!

Hasta pronto!